Boxhamsters: Prinz Albert

Boxhamsters: Prinz AlbertDie wohlabgeschmeckte, sowohl Streetpunk- als auch Kritiker-kompatible, geradlinig-brachiale Gitarrenbreitseite: Wer sich für die Boxhamsters entscheidet, den erwarten filigranst ausgetüftelte Hardcore-Noise-Attacken, gepaart mit Texten, die, der Dichtkunst eines Peter Hein oder eines Harry Rag gleichzeitig verpflichtet und ebenbürtig, unbarmherzig Tagespolitikgeschehen mit Blicken durch die subjektive Brille zusammenrühren. Der Gesang ist zumeist dem jagenden Off-beat untergeordnet; zornig-atemlos shoutet sich Sänger Co durch seine Begrifflichkeit, während die restlichen Hamsters verschachtelte Akkord- und Noise-Gebirge aufbauen und wieder einreißen.

Die Boxhamsters hatten schon immer das Image der sympathischen Verlierer, der „Kinder aus Bullerbü“, die ihre Flausen kultivieren und sich immer wundern, dass nie etwas klappt. Und bei abgebremstem Tempo kommt dabei auch schon einmal die wunderschön abgeklärte Looser-Variante einer Liebeserklärung heraus: „Ich weiß, Du wirst mich niemals lieben, ist auch eigentlich egal, trotzdem denke ich jetzt an Dich.“ The Wedding Present auf deutsch, eben. Ein „Lauter, schneller, härter“-Contest mit adäquater Abdeckung des Gefühlsspektrums zwischen zornig, ironisch, nachdenklich und traurig.

Boxhamsters: Prinz Albert
CD, 1993, Bad Moon Community / IRS

Chris Cacavas & Junkyard Love: Pale Blond Hell

Chris Cacavas & Junkyard Love: Pale Blond HellVielleicht schaffe ich es ja, diese Kritk zu schreiben, ohne einen direkten Neil-Young-Vergleich zu ziehen. Denn „Pale Blond Hell“ hat das Zeug zum Klassiker, schlägt eine souveräne Brücke von aktueller Neo-Folk-Psychedelic hin zu den sich silbrig auftürmenden Gitarren etwa von Crazy Ho… äh, Green On Red. Genau von dieser Band kommt Chris Cacavas nämlich, spielte dort auf den ersten fünf Alben Keyboard, um erst recht spät - nach Jahren als ewiger Sideman - selbst zu Gitarre und Mikro zu greifen. Mit Erfolg. Auf diesem nun schon dritten Album seiner Band finden wir Songs von handbehauener Schönheit vor, Songs, wie sie nur ein manischer Traditionalist mit Hang zu ungebremster emotiver Selbstdarstellung so brillant in Szene setzen kann.

Dies ist so zutiefst amerikanisch wie Kerouacs „On The Road“, dem akustisch gitarrisierten Singer/Songwritertum à la Crosby, Stills & Nash ebenso verpflichtet wie heiligen US-Country-Rock-Roots, nicht ohne hin und wieder heftigste Slide-Gewitter oder böse Feedbacks einzublenden (mit denen das Album am Schluss jäh wegdröhnt). Okay, waaaahnsinnig anachronistisch eigentlich das Ganze, aber die Virtuosität der Beteiligten lässt es nie peinlich nostalgisch schmecken, die alten Pfade werden kunstvoll neu bepflanzt, und Cacavas‘ wehmütiger Näselgesang bettet sich so adäquat in die elektrifiziert-elektrisierenden Gitarren ein, dass die schläfrigen „Unplugged“-Darbietungen zeitgenössischer Veteranen dagegen schnell vergessen sind.

Chris Cacavas & Junkyard Love: Pale Blond Hell
CD, 1994, Normal

B12: Electro-Soma

B12: Electro-SomaEine Musik, die im Zimmer herumsteht, als hätte jemand vergessen, sie abzuholen und in die Disco zu tragen. B12 versuchen sich an der Quadratur des Kreises und machen „House für zu Hause“, also sphärischen Techno, mit ganz weichem „ch“, und während Michael Golding, der eine Bauch des Duos, noch das mangelnde Open-minded-Sein der DJs beklagt, die ums Verrecken ihre Platten einfach nicht spielen, schälen sich diese elektrisch-somatischen, sich selbst immer wieder neu aufwickelnden Sounds dezent in Wohnzimmer, die neben einem CD-Player zumindest Alujalousien und einen Deckenventilator als Ausstattungsminimalattribute vorzuweisen haben sollten.

Tranciger Techno also, die das eloquente Geplucker früher Tangerine-Dream-Werke mit harsch-neuzeitlichen Beats verbindet und einem garantiert jedwede Grütze aus dem Hirn jagt, besonders wenn laut und wenn man hört wenn man gerade schreibt Kritik weil dann auch noch alle Grammatik aus Sätze geht weg. Aber leise gedreht ist es ein Klangteppichboden mit durchaus anregenden Ornamenten.

B12: Electro-Soma
CD, 1993, WARP / Rough Trade

Holger Czukay: Moving Pictures

Holger Czukay: Moving PicturesDer Mann mit dem Horn. Holger Czukay posiert auf seiner 93er CD mit allerlei Ikönchen und Symbölchen im Dürer-Look-a-like-Contest. Dieser Mann will einfach nicht hip sein, lässt seine Platten lieber wie große Käseräder reifen, um sie dann haargenau am Markt vorbei zu lancieren. Natürlich bringt er dabei wieder alte Freunde mit, Jaki Liebezeit etwa, oder Jah Wobble. Große Improvisationsexzesse oder Soundspielkram scheinen geCANcelt zu sein, Czukay begibt sich lieber auf die Spuren der Enos dieser Welt und macht Musik für Menschen, die keine Musik hören möchten. Diese Musik hört man nämlich kaum, sie atmet zwar die gleiche manufakturierte Perfektion (no sequenzer!) wie die Steininseln eines buddhistischen Zen-Gartens, aber der Zen-Garten ist weniger beredt, eindeutig.

Worte wie „Cyberspace“ fliegen einem entgegen wie die geflügelten Toaster des Bildschirmschoners, und in den mehr als 20 Minuten von „Rhythms Of A Secret Life“ scheint alles irgendwie zum Stillstand kommen zu wollen, die tröpfelnden Gitarren genauso wie das immer wieder den Weg um die nächste Ecke weisende Schlagzeug. Es ist vierzig Grad in Nevada, und Czukay setzt ganz auf das floating seiner Töne ins Unbewusste. „Radio In An Hourglass“ heißt ein anderer, kürzerer Titel: in ein atmosphärisches Grundrauschen eingezwängte Orient-Sounds, die nach Beachtung betteln. Aber, wie gesagt, so richtig hören tut man diese Platte ohnehin nicht. Man spürt sie. Traue keinen großen weisen Männern, die Dir was von Galaxien erzählen. Aber respektiere sie!

Holger Czukay: Moving Pictures
CD, 1993, SPV-Records

Unrest: Perfect Teeth

Unrest: Perfect TeethKunst-Anspruch, Puristen-Anspruch: Unrest widmeten schon einmal eine EP der Künstlerin Isabel Bishop, und das Cover ihres Albums „Perfect Teeth“ ziert eine Robert-Mapplethorpe-Fotografie von Cath Carroll. Das Trio verweist darauf, dass nur „Silvertone Brand“-Gitarrenverstärker und keine Synthies oder Verzerrer zum Einsatz gekommen sind, da sie „nur das Beste wollen“.

Aber genau wie sich das vermeintliche chemische Element auf der Cover-Rückseite bei genauerem Hinsehen als von unten fotografierte Lampe entpuppt, kippt auch die strukturale Glätte der Songs, deren glasklar gespielte Riffs manchmal an die gewollte Monotonie früherer Cure-Alben gemahnen, immer wieder um in ein eruptiv-schnoddriges Verständnis von Pop: Dann schrammeln sie einfach drauflos. Wie bei allen guten Sophisticated-Pop-Bands gibt es den Mann-Frau-Wechsel im Gesang, und ab und zu lassen sie alles nur noch in einer Spacemen-3-mäßigen Kiff-Lethargie versacken. Insgesamt ein gekonnter und oft berührender Beitrag zur Rehabitilation und Adaption alter Wave-Strukturen in der Grunge-Epoche.

Unrest: Perfect Teeth
CD, 1993, 4AD / Rough Trade

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The Times: Alternative Commercial Crossover

The Times: Alternative Commercial CrossoverDie Zeiten ändern sich, wahrhaftig! Jahrelang lieferte die aufnehmfreudige Truppe um Ed Ball 60er-Brit-Pop-Fake-Kleinode ab wie „Go! With The Times“, „Pop Goes Art“ oder „This Is London“, um dann mit wehenden Fahnen zu einem intelligent pophistorisches Wissen verquirlenden Fake-Rave zu wechseln.

Das neue Album bietet von allem etwas und von nix wat Janzes, ein Sammelsurium, was durchaus panoptisch becircende Qualitäten hat. Uns begegnet etwa das „Sweetest Girl“ von Scritti Politti’s „Songs To Remember“ in einem „Baby Girl“ betitelten Ragga-Dub wieder, und die „Ballad of Georgie Best“ beglückt (?) mit einlullendem Beatles-Choralgesang. Dann wieder, nach Primal Scream- bzw. Army Of Lovers-Strickmuster, endlos schallernde Gospel-Chöre („Sooorry, I’m so sooooorry, please forgive me for what I’ve done“), oder auch aberwitzige Banjo-Attacken. Das gibt es alles, das geht alles, und das können wir auch alles, scheinen uns The Times zurufen zu wollen, was wiederum very british ist.

The Times: Alternative Commercial Crossover
CD, 1993, Creation Records / Sony Music

Heather Nova: Blow

Heather Nova: BlowHeather Nova stellt sich mutig allen Credibility-Fallen, präsentiert sich selbst als introvertiertes Hippie-Mädchen, welches, wenn es nicht gerade wie auf der vorliegenden CD den Mean Fiddler Club in London hypnotisiert, teetrinkend und gitarrezupfend vor sich hin home-recorded. Das zeugt von einer gewissen sophisticated Behaglichkeit und der Fähigkeit, Leben und Leiden mit Würde sowohl ertragen als auch artikulieren zu können, ohne gleich vollends ins Rimbaud’sche Genialitätsloch zu fahren.

Die Live-CD liefert davon, sicher nichts für Freunde artifizieller Konzept-Pop-Finesse, einen Cut ganz ohne sinnverdächtige Zusammenhänge, einfach nur eine Hörprobe neun neunmalguter Songs: „Blow“ ist hart, oftmals jäh und ultradirekt, packt mit stimmlicher Intensität und bis in den molekularen Bereich verdichteter Atmosphäre voll zu.

Heather Nova: Blow
CD, 1993, Homestead

Tara Key: Bourbon County

Tara Key: Bourbon CountySchnörkellose, puristische Ware, auf die bourgoise Formalisten neben das Etikett „Gitarren-Rock“ auch gleich noch das Label „Frauen-Rock“ kleben würden: Die trostlos selbstbefreite Frau an der Gitarre (die dann ihr Lover-Glück doch nicht/gerade deswegen nicht findet). Von Janis Joplin über Patti Smith bis hin zu Epigoninnen wie den 4 Non Blondes lässt sich dieses nicht nur in Männerköpfen spukende Klischee in zart variierten Schattierungen verfolgen; Ausweg scheint oft nur die Flucht in eine elfenhafte Geschlechtslosigkeit à la Kate Bush zu sein.

Tara Key, USA, Gitarristin in wechselnden Bandkonfigurationen, umsteuert solcherlei Kategorisierungsversuche mit silbriger Gitarrenvirtuosität und einem zeitlosen, im positiven Sinne mainstreamigen Pop. Dabei dümpelt sie aber trotz aller klassizistischen Konsequenz zu oft nur in folkloristischer Beliebigkeit, überzeugt aber lediglich in den längeren Instrumentalpassagen, wenn sich die Gitarren gegenseitig hetzen und umschmeicheln: Dann gewinnt das Spiel der zahlreichen beteiligten Musiker eine Art von monumentaler Würde, die einen mit kurzer Faszination aufhorchen lässt.

Tara Key: Bourbon County
CD, 1993, Homestead

FM Einheit: Prometheus - Lear

FM Einheit: Prometheus - LearWie dissonant hätten Sie es denn gerne? So ziemlich neben allen Harmonielehren liegend geht das 93er Solo-Werk von FM Einheit zur Sache; über Raunen, Schaben und verhaltenem Gelärme („Intro“) nähert man sich sample-intensiv den einzelnen Bühnengestalten und Episoden der gleichnamigen Inszenierungen von Heiner Müller und Edward Bond. Gar schaurig etwa das Geklapper und Sirenengeheul um „Hephaistos“, schräg „Der Chor“ mit seiner Legendary-Pink-Dots-Orgel und den Marlene-Dietrich(?)-Samples, anrührend die „Hosanna“-Chöre bei Lear und schon allein vom Titel gut das letzte Stück („Schweine zerreißen“). Zwischendurch musiziert es auch mal, quasi zur Entspannung, einfach klassisch vor sich hin.

Ach ja, zur Gedächtnisauffrischung: „Prometheus“ knetet Menschen aus Lehm, entführt Zeus das Feuer, fliegt aus dem Hades raus und wird an einen Felsen geschmiedet, wo ein Adler seine immer nachwachsende Leber frißt, während der Shakespear’sche König „Lear“ reichlich viel Ärger mit seinen Töchtern hat, sich lange im Wald herumtreibt und am Schluss erschossen wird, wobei alle heftige Gefühle fühlen müssen.

FM Einheit: Prometheus - Lear
CD, 1993, FM 451 Indigo

Der Plan: Die Peitsche des Lebens

plan_peitsche.jpg„Wenn Der Plan wüsste, was er wollte, wenn er einen definierten Stand in der Welt hätte, dann wäre wohl auch unser Bedürfnis größer, zum Nachdenken anzuregen“, meinte Anfang der 90er Jahre Frank Fenstermacher, Ata Tak-Labelchef und Sänger von Der Plan. Und genau das ist das Verwirrende am Plan: Er will sich ums Verrecken nicht festlegen, bewegt sich lieber willkürlich sprunghaft zwischen schwerer Symbolik und Abzählreim-Texten hin und her. Ist die Welt zynisch? Oder ist es der Plan? Oder beide? Die Frage wird seit mehr als 25 Jahren konsequent offen gelassen. Ihre 1987er-Tournee war eine Mischung aus Residents-Mole-Show und pantomimischem Maskenspiel, die extravaganten Inszenierungen der Stücke erhielten ihre Qualität durch eine gewollte Reduzierung der Mittel, in einer Maskerade auf Papp-Niveau. Das Bühnen-Outfit lag dabei wie stets bei Moritz R., dessen naiv-buntes Kunstkonzept das Plan-Bild wesentlich prägt.

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