Lou Reed: Livetour „Berlin“

lou_reed_berlin.jpgMen of good fortune, often cause empires to fall / While men of poor beginnings, often can’t do anything at all / The rich son waits for his father to die / The poor just drink and cry
(Lou Reed, „Men of good fortune“)

1973 war ein aufregendes Jahr für die Popmusik, geprägt von Paradiesvögeln und Glamrock: Roxy Music brachten mit „For Your Pleasure“ und „Stranded“ gleich zwei Hitalben auf den Markt, David Bowie reüssierte als Ziggy Stardust, und Alice Cooper, Gary Glitter, T-Rex oder Slade ließen es ordentlich krachen. Und Lou Reed? Seine Band The Velvet Underground war, schon bevor Andy Warhol sie unter seine Fittiche nahm, wegweisend und gilt bis heute vielen Garagen- und Independentbands als Inspiration. In den 70ern machte Reed solo als „Rock’n’Roll Animal“ Furore, verschreckte sein Publikum mit öffentlich gesetzten Heroinschüssen, bizarren S/M-Kostümen und einem lärmenden Sound, gewürzt mit Elementen des Glamrocks.

Doch 1973 veröffentlichte Lou Reed auch ein Album, das völlig aus dem Rahmen fiel, und das programmatisch nur den Namen einer deutschen Stadt trug: „Berlin“, ein Konzeptalbum, dessen Songs von einem (fiktiven) heroinabhängigen amerikanischen Paar handelten, die in der damals geteilten Stadt lebten. Reed hatte in den 70ern einige Jahre in Berlin gelebt, zeitweilig wohnte er dort mit Iggy Pop und David Bowie zusammen – letzterer sollte einige Jahre später mit „Heroes“ ebenfalls eine Musikgeschichte schreibende Hommage an diese Stadt veröffentlichen. Völlig neben dem Zeitgeist präsentierte Lou Reed mit „Berlin“ einen düsteren, melancholischen Reigen von Songs über die Abgründe, Verlierer und Außenseiter einer Stadt, ein wahrhaft depressives Werk, das den Hörer mit schweren orchestralen Arrangements schier erschlägt, aber auch Momente der absoluten Zurückgenommenheit, der musikalischen Kontemplation bereithält. Über allem Lou Reeds einzigartige tiefe Stimme, dieser schwere, dunkle Gesang, der zielsicher die Abgründe der menschlichen Seele auslotet.

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Weltpremiere von „Berlin“ live 2006 in New York, St. Anne’s Warehouse.

Wie es so oft ist mit genialen Meisterwerken: Sie erhalten erst im Nachhinein ihre volle Würdigung. „Berlin“ war 1973 nicht nur ein Bruch mit dem, was man von Lou Reed erwartete, sondern auch ein Bruch mit allem, was zu dieser Zeit irgendwie angesagt, in oder trendy war. „Manche Platten sind so ausgekocht widerlich, dass man an den Künstlern, die sie verbrochen haben, am liebsten physisch Rache nehmen möchte“, schrieb etwa der Rolling Stone. Ähnlich entsetzt oder befremdet lasen sich auch andere Kritiken dieser Zeit, erst spätere Musiktheoretiker wie Diedrich Diederichsen wussten den Meisterwerk-Charakter der Platte zu schätzen.

34 Jahre nach der Entstehung des Albums startet Lou Reed nun eine Tournee, auf der er sein epochales Werk mit Orchester, Chor und Band auf die Bühne bringt. Unterstützt wird er hierbei, wie sollte es anders sein, von illustren Mitstreitern: Die musikalische Leitung der Tournee übernimmt Bob Ezrin, der damals als Produzent von „Berlin“ fungierte und nebenbei auch Pink Floyds „The Wall“ produziert hat. Für die Bühnendramaturgie ist Neoexpressionist Julian Schnabel verantwortlich, der für Lou Reed schon das Cover von „The Raven“ gestaltete, und zur hochkarätigen Begleitband gesellt sich mit dem New London Children’s Choir auch ein Kinderchor. „Ich mache das nur einmal in dreißig Jahren“, kommentiert Lou Reed auf seine gewohnt trockene Art. „Einmal, ein einziges Mal nur. Dann kann man seinen Kindern erzählen, dass man Lou Reeds ‚Berlin‘ gesehen hat.“ Natürlich werde ich mich auf in die verbotene Stadt machen, zusammen mit der Kulturtussi. Und wir Rheinländer werden natürlich triumphierend hinzufügen, dass die Deutschlandpremiere nicht etwa in Berlin, sondern sozusagen fast in Köln stattgefunden hat.
Tourdaten:

Mo, 25. Juni 2007, Düsseldorf
Di, 26. Juni 2007, Berlin

PS:
Wir waren da! Die Kritik kann hier nachgelesen werden.