Die Propeller-Autos von Marcel Leyat

marcel_leyat.jpgDem französischen Ingenieur Marcel Leyat, am 26. März 1885 in Die im Département Drôme geboren, kommt sicher das Verdienst zu, eines der ungewöhnlichsten Fahrzeuge der Automobilgeschichte geschaffen zu haben. Schon früh begeisterte er sich für Flugzeuge, wurde Pilot und arbeitete bei den Astra-Flugzeugwerken, bevor er sich selbstständig machte. Unterstützt von einigen Honoratioren seiner Heimatstadt gründete er die „Société des Aéroplanes Leyat“ und konnte seine Gönner schon bald durch eigene Flugkünste überzeugen: Am 25. August 1909 stieg er unter den Augen von etwa 1.500 Schaulustigen, gezogen von einer Seilwinde, die am Auto seines Bankiers befestigt war, mit seinem ersten Segelflugzeug hoch in die Lüfte.

Doch Leyat war auch Autonarr, und er träumte davon, den unkomplizierten Antrieb von Flugzeugen – keine Kupplung, kein Getriebe, kein Differenzial – aufs Auto zu übertragen. Ohne jede Kraftübertragung, so schwebte es ihm vor, sollte sein Auto wie die Flugzeuge beim Start einfach von einem Propeller angetrieben werden.

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Das erste Luftschraubenauto der Welt: das Hélicocycle 1914.

1913 produzierte er sein erstes Auto mit Propellerantrieb, das Hélicocycle. Schon ein Jahr später folgte eine verbesserte Version mit ähnlich wie bei Ventilatoren umgittertem Propeller, da er die Einwände von Kritikern nicht überhören konnte, dass sein Vehikel bei Kollisionen mit Fußgängern für diese eine recht drastische Gefährdung darstellen konnte. Und Kollisionen gab es anfangs reichlich, denn sein Luftschraubenauto besaß nur drei Räder (wobei das hintere gelenkt wurde), was mit dem starken Übergewicht vorne durch den hoch angebrachten Motor nebst vierblättrigem Propeller zu einer mehr als wackeligen Straßenlage führte. Das Lenken entsprach eigentlich mehr vagen Empfehlungen ans Fahrwerk, während das Hélicocycle tatsächlich unbarmherzig vom Windschub mal dahin, mal dorthin geblasen wurde. So konnte es nicht weitergehen, und nach langen Überlegungen, durchwachten Nächten und intensivem Studium anderer Automobile seiner Zeit kam Leyat auf die Idee, ein viertes Rad an sein Auto zu bauen. Doch zunächst kam der Erste Weltkrieg, und Leyat brauste mit seinem Hélicocycle an die Front.

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Der Hélica Roadster zu Füßen des Eiffelturms.

Nach dem Krieg gab es dann kein Halten mehr, und 1919 ging, nunmehr vierrädrig, der Hélica in Serienproduktion. Die schmale, aerodynamische Form ließ Leyats Affinität zum Flugzeugbau erkennen und lässt ein wenig an den Rumpler-Tropfenwagen denken, der allerdings erst zwei Jahre später vorgestellt wurde. Angetrieben wurde das Fahrzeug, das es wahlweise als Limousine oder als Roadster gab, durch einen Zweizylindermotor, der seine 30 PS aus 984 ccm direkt über die Kurbelwelle an den Propeller weitergab und das dank Holzbauweise recht leichte Fahrzeug auf bis zu 80 km/h beschleunigte. Obgleich teuer, verkaufte sich die Limousine etwas besser, was wohl daran lag, dass die Passagiere, welche wie bei einem Tandem hintereinander saßen, beim Roadster nicht nur dem Fahrtwind, sondern vor allem dem mächtigen Propeller-Winddruck recht schutzlos ausgeliefert waren. Da machte die Limousine mit ihren seitlichen Butzenscheiben doch einen sehr viel heimeligeren Eindruck.

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Tropfenform mit Butzenscheiben: Hélica Limousine.

Marcel Leyat entwickelte seinen Hélica liebevoll weiter und erreichte mit optimierten Nachfolgemodellen eine Geschwindigkeit von sagenhaften 170 km/h. Doch die Automobilisten wollten sich mit seinem Propellerungetüm einfach nicht anfreunden, und so blieb es letztlich bei 30 produzierten Hélica – das letzte wurde 1925 gebaut. Leyat wendete sich bald wieder der reinen Aeronautik zu und konstruierte bis zum zweiten Weltkrieg wieder Flugzeuge. Es ist überliefert, dass er 1967 seinen Erstflug über seiner französischen Heimatstadt Die wiederholen wollte, doch die Stadtoberen verweigerten dem immerhin schon 82-jährigen Pilot die Starterlaubnis. Marcel Leyat starb am 3. Dezember 1986 im Alter von 101 Jahren.

Herzlichen Dank an Claude Gueniffey für seine freundliche Genehmigung, Fotos von seiner Website www.helica.info zu verwenden.
Dieser Beitrag inspirierte radioeins zu einem kleinen Radiobeitrag in der Reihe „Fahrzeugbrief“, wobei ich als „Marcel-Leyat-Experte“ auch ein paar kluge Worte sagen durfte. Gerne kann der Beitrag (mit freundlicher Genehmigung von radioeins / rbb) hier heruntergeladen werden:
radioeins „Fahrzeugbrief“ über Marcel Leyat (MP3-Datei, 2,31 MB)

Weitere Infos:
L’Hélica Marcel Leyat
The Museum of RetroTechnology
MPEG-Movie einer Hélica auf Rennkurs von 2005