Netzrauschen


»Das globale Dorf ist das letzte Mausoleum des Menschen …«
Das Rauschen ist überall. Die Kommunikationsartillerie erzeugt Querschläger, die, endlich befreit von Sinn und Konnotationen, nur Uneigentliches säen, begründen, verfestigen. Tentakelgleich wächst babylonisches Sprachgewirr in alle Richtungen, löst Zusammenhänge auf – der innere Halt ist nur noch die File Allocation Table, jener strukturierte Code, der einen Computer eine Datei als eine Datei erkennen lässt, auch wenn sie längst – monströs gewachsen – wie Baumpilz an verschiedenen Stellen der Festplatte klebt. Keine Chance, dem permanenten Raunen und Rauschen zu entrinnen, zu spät für altherrschaftliche Stellungnahmen, die Geschwindigkeit des Austausches lässt kein Rechtgeben mehr zu, das dem Rechtgeben immanente Rechthaben, über das Recht verfügen schließt Verständnis zwingend aus – die Buchstabenansammlungen lassen Menschen hinter ihnen vermuten, Menschen greifen nach mir, ich greife nach ihnen, lasse das gesammelte Output auf den Datenträgern paradieren, stets gewillt, Querverweisen in unwegsame Gebiete zu folgen. Das Rauschen des Mainstream beleidigt mein Ohr, Seitenflüsse werden zu Sümpfen, in denen trübe die Replys versinken, Was meint der? die Meinung, ein Relikt aus der vorvernetzten Zeit, ist die Startrampe zum Missverständnis, zu kleinen, irisierenden Irritationen im Treppab der Zeilen. Der schreibende Mensch als nach allen Seiten geöffnetes Medium, von in die Tastatur tröpfelnder Semantik durchspült und entleert. Ich bin der Meinungsvampyr. Ich sauge, download request on, ordne, katalogisiere, vernichte Intentionen, vernichte den Menschen. Der Mensch ist nicht mehr da, vernichtet im Sperrfeuer, aufflackernd noch einmal im letzten Aufbäumen der Identitätsstiftung durch die Sammlung, durch das Habenwollen von Dir, von anderen, jagend das Weltdenken und betrauernd das erlegte Wild. Das Rauschen nimmt nur zu, erzeugt Kopfschmerzen, neue Texte ins System werfen, die Kopfschmerzen bekämpfend, ich! ich! ich! schreiend: fucking up the differences. Das globale Dorf ist das letzte Mausoleum des Menschen, meterdicke Wände, bis schließlich das allerletzte Rauschen verebbt. Wir hören es nicht mehr.

(Text von 1993)