Ich hatte mich im Dunkeln verirrt, und du hast mich gefunden. Mir war heiß – so heiß! –, und du hast mir Eis gegeben.
Stephen King hat „Lisey’s Story“, wie „Love“ im Original heißt, seiner Frau Tabitha gewidmet. Nicht nur das, sondern auch die Rahmenhandlung erweckt auf den ersten Blick den Eindruck, es handele sich bei „Stephen Kings vielleicht dichtestem und persönlichstem Roman“ (Klappentext, aber gibt es einen Roman von ihm, wo das nicht im Klappentext steht?) um eine mehr oder minder verkappte Autobiographie, um die belletristische Aufbereitung dessen, was King in „Das Leben und das Schreiben“ eher trocken rapportierte. Es geht um einen Schriftsteller (allerdings: In fast jedem King-Roman geht es um einen Schriftsteller), beziehungsweise um dessen Frau, beziehungsweise um dessen Witwe. Denn der Schriftsteller, Scott Landon, das erfahren wir direkt zu Anfang, ist tot, dahingerafft von einer Krankheit, die er sich, das erfahren wir sehr spät, wohl geholt hat in einer Welt, die nicht die unsrige ist.
Schaut man sich die reinen Eckdaten der Geschichte und vor allem von Scott Landons Werdegang an, springen die Ähnlichkeiten zu Kings Biographie in der Tat ins Auge: Frühe Heirat und früher Erfolg, dann Krisenjahre mit Alkohol- und Drogenproblemen. Genau wie Lisey Landon im Buch hat auch Stephen Kings Frau Tabitha mehrere Schwestern, genau wie Scott Landon hatte Stephen King auch einmal eine Begegnung mit einem Psychopathen (nämlich, wenn auch harmlos verlaufend, mit Mark David Chapman, dem Mörder John Lennons). Allerdings: Taucht man tiefer in die Geschichte ein, hören die Ähnlichkeiten auch wieder auf bzw. man befindet sich in einer komplett fiktiven Individuationsgeschichte mit Fantasy-Anleihen – während so manch frühes Werk wie „Misery“ vordergründig wenig auf King verwies, metaphorisch aber eine äußerst präzise Darstellung seiner Situation war.
Doch wie liest er sich nun, der neue Roman von King? Zunächst, man kann es nicht anders sagen: zäh. Anders als bei „Puls“, das von Anfang an Vollgas gibt, haben wir es mit dem zunächst banalen Alltag von Lisey zu tun, und lediglich die Erinnerungsfetzen an die Zeit, als in ihrem Leben noch etwas los war, nämlich als ihr Mann noch am Leben war, bringen ein wenig Spannung ein. Man ist geneigt, den Autor zu verfluchen, dass er die offenbar einzig interessante Person des Romans schon vor der ersten Seite hat sterben lassen und wir uns stattdessen mit der transusigen Hinterbliebenen herumschlagen müssen. Doch irgendwie – und eigentlich bekommt man gar nicht mit, wann und wie genau – geschieht es dann wieder: Der King packt zu. Man ist plötzlich gefesselt. Vielleicht, weil man mitbekommen hat, dass die Rückblenden tatsächlich die eigentliche Erzählung sind, vielleicht auch, weil stilistisch tatsächlich die Dichte zunimmt. Man erfährt von dunklen Geheimnissen des fiktiven Autors: Dass er einen Bruder hatte, der verrückt wurde, von Dämonen besessen, oder, um in der Sprache des Buches zu bleiben, „bösmüllig“. Dass er den Schlüssel zu einem tatsächlichen Paralleluniversum besaß, und diesen Schlüssel an Lisey weitergegeben hatte.
Hinzu kommt eine tatsächliche Bedrohung im Hier und Jetzt: Lisey wird von einem Stalker verfolgt, der es auf den literarischen Nachlass ihres verstorbenen Mannes abgesehen hat und vor bestialischer Gewaltanwendung nicht zurückschreckt. Allerdings, um es gleich zu sagen: Diese Nebenhandlung, und mehr als eine solche ist es kaum, gehört zu den schwächeren Parts des Buches, wirkt oberflächlich zusammengeklaubt aus „Rose Madder“ („Das Bild“), das Psychogramm von Zack McCool, wie er sich nennt, wird wenig ausformuliert. Umso mehr äußerst sensibles Gewicht legt King auf die Beschreibung der Ehe und des Verhältnisses, sprich: die Liebe, zwischen Lisey und Scott. Und hier gelingen ihm wirklich Zeilen, die zu Herzen gehen, ebenso bei der Beschreibung der dunklen, abgrundtief schrecklichen Kindheitsgeschichte von Scott.
Anders als „Puls“ ist „Love“ nicht so sehr zum schnellen Ex-und-hopp-Lesen geeignet, es geht tiefer, ist schon vom Sprachlichen her anspruchsvoller angelegt. Fast schon ungewohnt blumig drückt sich King teilweise aus. Wer nur auf der Suche nach dem nächsten literarischen Pendant zu einem Big Mac ist, um einmal ein berühmtes King-Zitat zu bemühen, sollte hier Abstand nehmen. „Love“ ist introvertiert, langsam, auf den ersten 200 Seiten sogar hin und wieder etwas unwillig zu delektieren, und nimmt erst in der zweiten Hälfte Fahrt auf, dann aber mächtig und nicht zu bremsen wie ein großer Dampfer. „Love“ ist der gereifte King, der sich möglicherweise jetzt doch anschickt, die Welt der „ernsthaften“ Literatur zu erobern. Und auch, wenn man ihn da eigentlich gar nicht so gerne sehen möchte: Missgönnen will man es ihm nicht.
Stephen King: Love. HEYNE Verlag, 2007, 700 Seiten.