„Bitte richtet mich nicht zu streng“ – so lautete der Abschiedsgruß von Brian Jones, der bei seinem Begräbnis verlesen wurde. Janis Joplin und Jimi Hendrix haben nichts dergleichen hinterlassen, doch ihre letzten Jahre waren beredt genug. Die ganze Welt war von ihrem plötzlichen Tod 1970 geschockt – doch wirklich überrascht war niemand.
Jimi Hendrix und Janis Joplin, Monterey Pop Festival 1967, backstage.
„Jimi Hendrix war der elektrifizierte Niggerdandy der Blumenkinder-Generation, ihr goldenes Kalb und bestes Pferd im Stall, ihr Produzent einer unheimlich starken Dope-Musik, ihre exzessivste Kraft.“ So beschrieb die Musikzeitschrift Rolling Stone den wohl berühmtesten Gitarristen der 60er Jahre. Hendrix symbolisierte wie kaum ein anderer die nach der prüden Eisenhower-Ära angesagte sexuelle Freiheit, und, geschmückt mit bunten Kleidern, Samt, Perlen, Ketten und Ringen, vermittelte er auf ganz natürliche Weise ein neues schwarzes Selbstbewusstsein, eines, das nicht uniformiert und dogmatisch auftrat, sondern die Einzigartigkeit des Individuums in den Vordergrund stellte. Ein Selbstbewusstsein übrigens, von dem sich Musiker wie Prince Jahre später eine kräftige Scheibe abschneiden sollten.
Das, was Jimi Hendrix den Schwarzen vermittelte, tat Janis Joplin für die Frauen. Das hässliche Entlein aus Port Arthur in Texas verwandelte sich auf der Bühne in einen schillernden Schwan, sie strahlte Schönheit aus durch die Selbstverständlichkeit, mit der sie sich live gab, mit der sie ihren meist übergewichtigen Körper über die Bühne wirbelte und mit den schrillsten Klamotten behängte. Gemeinsam war den beiden die beängstigende Intensität, mit der sie nicht nur ihre Musik, sondern auch das damalige Motto „Live fast, love hard, die young“ auslebten. „He was the heaviest doper I ever met“, sagte Eric Burdon über Hendrix, und bei Janis Joplin gehörte eine Flasche Southern Comfort Whiskey zum ständigen Bühnenequipment. Beide schluckten wahllos Pillen in rauen Mengen, Schlaftabletten, um einschlafen zu können, und Fitmacher, um wieder wach zu werden.
Jimi Hendrix bekam noch vor seinem zehnten Lebensjahr von seinem Onkel eine Gitarre geschenkt, das Instrument, welches er für den Rest seines Lebens kaum noch aus der Hand legen sollte. Der Anfang seiner Karriere war recht unspektakulär: Wie viele andere schwarze Musiker tingelte er in wechselnden Formationen durch die Clubs, bis er im September 1966 von Chas Chandler, dem Bassgitarristen der Animals, entdeckt wurde. Der holte ihn nach London und investierte 5000 Pfund in die Promotion der „Jimi Hendrix Experience“.
Über sein Gitarrenspiel, über das sinnliche Verhältnis von Jimi Hendrix zu seiner Gitarre ist schon viel geschrieben worden. Sicher war es eine Hassliebe, die ihn auch gelegentlich dazu trieb, sein Instrument am Ende eines Auftritts zu verbrennen, eine Hassliebe und Aggression, die hier ihren Fetisch gefunden hatte, ihren eigentlichen Bezug aber zur eigenen Persönlichkeit hatte. Phasen tiefster Depression wechselten sich bei ihm ab mit Ausbrüchen sinnloser Zerstörungswut; das einzige Kontinuum war zuletzt die Tatsache, dass er praktisch pausenlos bedröhnt war, was auch seine letzten Konzerte zu Desastern werden ließ.
Jimi Hendrix 1969 auf dem Woodstock-Festival.
„Eigentlich war ich nicht überrascht“, konstatierte sein Manager Chas Chandler, als er von Jimi Hendrix‘ Schlaftabletten-Tod am 18. September 1970 erfuhr. „Es war, als ob er uns die letzten zwei Jahre darauf vorbereitet hätte. Es war eigentlich eine Nachricht, auf die ich gewartet hatte“.
„Verdammt, er war schneller als ich.“ Das war die Reaktion von Janis Joplin, als sie vom Tod ihres berühmten Kollegen hörte. Zu diesem Zeitpunkt war sie selbst schon dabei, kräftig an der Demontage ihres Körpers zu arbeiten.
1964/65 an der Westküste, in San Francisco, sah alles noch sehr idyllisch aus. Dort, im sonnigen Kalifornien, war LSD noch bis 1966 eine erlaubte Droge, dort trafen sich illustre Gestalten wie David Crosby, Jerry „Captain Trip“ Garcia, Ken Kesey mit seinen Merry Pranksters und eben Janis Joplin, die dort dem bürgerlichen Mief ihrer Heimatstadt Port Arthur zu entfliehen versuchte. Unter dem Einfluss von LSD entstand eine bunt gemischte Szene aus Musikern, Schriftstellern, Künstlern, Hell’s Angels und Drop Outs, die sich auf einer einzigen riesengroßen Party hemmungslos zudröhnte. „Fluid“ war das Wort der Stunde, man „zerfloss“, löste sich auf im kollektiven Wohlgefühl der Experimentierlust, des Hedonismus und der Exzesse.
Janis Joplin schloss sich dort 1966 der Band „Big Brother & The Holding Company“ an. „Ich war in dieser Zeit einfach ein dickes Chick, mit großen strahlenden Augen und einem dicken Haarschopf“, erinnert sie sich später, „ich wollte mehr als Bowling-Bahnen und Drive-ins. Ich hätte alles gevögelt, alles genommen. … Und ich tat es. Ich wollte es schnupfen, lecken, rauchen, schießen, tropfen, mich in es verlieben …“ Ihren Karrieredurchbruch schaffte sie ein Jahr später, als sie mit „Big Brother“ auf dem legendären Monterey Pop Festival spielte. Es folgten Plattenaufnahmen mit ihrer eigenen Kozmic Blues Band und mit Full Tilt Boogie, die ihren Ruf als größte weiße Blues-Sängerin nachhaltig untermauerten. Doch trotz ihrer Erfolge war sie stets geplagt von Selbstzweifeln und Depressionen, auf einer ständigen Jagd nach Liebe und Anerkennung, die ihr eine gesichtslose Masse von Fans nicht bieten konnte.
Janis Joplin mit ihrem Lieblingsgetränk.
„Der Blues ist einfach der Gesang einer einsamen Frau, die nach einem guten Mann Ausschau hält“, sagte sie einmal. „Und ich habe nach ihm gesucht. Es ist ein ewiger Blues, wie ich versuche, stark zu sein, und niemand merkt, dass ich es eigentlich gar nicht bin. Ich bin so einsam, ooohh, und dann kommt so ein Typ daher, und sagt ‚Das ist gut, dadurch singst du mit mehr Gefühl‘! Fuck you, man! Ich will nicht mehr!“
Drei Wochen nach dem Tod von Jimi Hendrix, am 4. Oktober 1970, wurde die Sängerin, die einmal sagte, „Wer Drogen nimmt, muss verrückt sein, wenn er sich doch mit Southern Comfort Whiskey besaufen kann“, heroinvergiftet mit 14 frischen Einstichen im Landmark Hotel in Hollywood aufgefunden.
Die Tode von Jimi Hendrix und Janis Joplin signalisierten zusammen mit den Toden von Brian Jones ein Jahr davor und Jim Morrison ein Jahr später das Ende einer Ära, in der der gedankenlose Drogenkonsum ganz selbstverständlich zum Rock’n’Roll-Style gehörte. Bis dahin hatte sich niemand so recht klargemacht, dass das „Die young“-Motto tatsächlich zu einem frühen Tod führen könnte. Der Woodstock-Traum einer friedlichen Hippie-Generation war allerdings schon ein Jahr vorher ausgeträumt gewesen, ausgeblutet unter den Toten des Altamont Festivals am 6. Dezember 1969.
Janis Joplin und Jimi Hendrix haben nicht nur eine Reihe wichtiger Rock-Alben hinterlassen, sondern sich auch als Märtyrer der Hippie-Generation manifestiert, als Opfer eines riesengroßen Missverständnisses. Doch in erster Linie waren ihre Tode die Konsequenz ihrer Unfähigkeit, glücklich zu sein, das einzig mögliche Ende zutiefst trauriger Persönlichkeiten.
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