Der Schienenzeppelin von Franz Kruckenberg

schienenzeppelin01.jpgDie Geschichte der Personenbeförderung zu Wasser, in der Luft und auf der Schiene ist reich an kuriosen, aus heutiger Sicht abwegig erscheinenden Entwicklungen: Zu diesen darf sicher auch der Flugbahnwagen von Franz Kruckenberg gezählt werden, der aufgrund seiner formalen Ähnlichkeiten zu den Luftschiffen des Grafen Zeppelin als „Schienenzeppelin“ in die Eisenbahngeschichte einging. Obgleich von diesem ungewöhnlichen Schienenfahrzeug, das durch die Schubkraft eines am Wagenende angebrachten Propellers angetrieben wurde, lediglich ein Prototyp gebaut wurde und dieser Anfang der 30er Jahre nur wenige Testfahrten absolvierte, ist der Schienenzeppelin bei allen Eisenbahnfreunden dieser Welt unvergessen und besetzt einen festen Platz im Olymp denkwürdiger Technik-Exponate. Übersehen wird dabei gerne, dass Kruckenberg mit seinem Forschen und Wirken nicht nur eine spleenige Randnotiz hinterlassen hat, sondern weitreichenden Einfluss auf die Entwicklung moderner Schnelltriebwagen hatte.


Franz Friedrich Kruckenberg (1882-1965) war ein passionierter Ingenieur und Tüftler, der sein Diplom im Schiffbauwesen erworben hatte, sich jedoch auch in der Entwicklung von Flugzeugen, Luftschiffen und Eisenbahnen betätigte. Nach dem Ersten Weltkrieg eröffnete er in Heidelberg ein Ingenieurbüro, erstes Projekt war eine einschienige „Hängeschnellbahn“, die allerdings mangels Investoren im Entwurfsstadium blieb. Ende der 20er Jahre lernte Kruckenberg einen weiteren begnadeten Entwickler seiner Zeit kennen, Hermann Föttinger, der in Danzig das Institut für Strömungstechnik aufgebaut hatte und ab 1924 an der Technischen Hochschule Berlin als erster deutscher Professor für Allgemeine Strömungslehre und Turbomaschinen lehrte. Der Bau des „Schienenzeppelins“ wurde beschlossen und man gründete dafür gemeinsam die Flugbahn-Gesellschaft mbH. Im Jahre 1930 wurde der Flugbahnwagen, so seine offizielle Bezeichnung, in Hannover gebaut.

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Der Schienenzeppelin wirkte 1930 wie aus einer anderen Welt (Foto: Werksfoto).

Auch vor Kruckenberg hatte es schon Versuche mit propellerangetriebenen Eisenbahnwagen gegeben, doch erschöpften sich diese meist darin, einen Propellerantrieb auf ein herkömmliches Wagenchassis zu setzen. Im Ergebnis war das Gefährt dann zu schwer, als dass es wirtschaftlich vertretbar über die Schiene hätte „gepustet“ werden können. Kruckenberg setzte hingegen konsequent auf Leichtbau und verwendete einen selbsttragenden Gitterrohrrahmen aus Stahlblech mit Aluminiumspanten, über die als Außenhaut Segeltuch kam, das silbern lackiert wurde. Die jeweils rund 1 Meter langen vier Blätter des Schubpropellers (testweise kam auch eine zweiblättrige Variante zum Einsatz) waren aus Eschenholz. So wog der zweiachsige, rund 25 Meter lange Wagen, der Platz für maximal 40 Passagiere bot, nur rund 20 Tonnen – ein sicher gerne in Kauf genommener Nebeneffekt der Bauweise war, dass das silbrig-schimmernde Äußere dem Gefährt in Verbindung mit der konsequenten Stromlinienform ein äußerst elegantes, futuristisches Aussehen gab.

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Schienenzeppelin in Hamburg Hannover: Das futuristische Gefährt erregte stets großes Aufsehen.

Als Antrieb kam ein V-12-Flugmotor von BMW zum Einsatz, der 600 PS leistete und ebenfalls konsequent auf Gewichtsoptimierung konstruiert war. Der Motor selbst bestand aus Aluminium, einzelne Teile wie das Kurbelgehäuse sogar aus Magnesium. Das Interieur muss man sich mit segeltuchbespannten Sitzen eher spartanisch vorstellen, aber durchaus geschmackssicher, da man beim Innendesign den reduzierten Gestaltungsideen des Bauhaus folgte. Doch Kriterien wie Bequemlichkeit für Passagiere waren beim Prototyp ohnehin zweitrangig; insbesondere hielt Kruckenberg wohl lärmdämmende Maßnahmen für überflüssigen Schnickschnack, wie sich aus dem folgenden Zeitungskommentar anlässlich der berühmten Weltrekordfahrt des „Schienenzepps“ zwischen Hamburg und Berlin am 21. Juni 1931 herauslesen lässt:

Das silbergraue, in seiner stromlinienförmigen Gestaltung pfeilschnelle Fahrzeug macht den Eindruck technischer Vollendung. Die Bedeutung des Augenblicks und die gewisse Feierlichkeit wird unterstrichen durch die Natur. Es ist taghell, aber nach der Uhrzeit ist es noch Nacht. Der Lärm der Stadt ist noch nicht erwacht. Die Vögel schmettern ihr Frühlingslied. Die Menschen sprechen mit gedämpfter Stimme. Und nun kommt Kruckenberg. […]

Eine Minute vor der Zeit nimmt Kruckenberg in seinem Wagen Platz. Der Motor läuft bereits. Immer lauter brüllt er. Immer rascher wird der Propeller herumgewirbelt. Über den beiden Auspufföffnungen auf dem Dach des Wagens stehen zwei kurze Flammenbündel. Jetzt das Zeichen zur Abfahrt! Und nun bewegt sich der Schienenzeppelin und gleitet rasch und rascher werdend dahin. Und der Beifall der Zuschauer ist aufrichtig und freudig. Das Gefühl, soeben einen historischen Augenblick miterlebt zu haben, bleibt in uns allen zurück.

Sagenhafte 230,2 km/h erreichte der Schienenzeppelin auf dieser Fahrt und war damit exakt 20 km/h schneller als der bisherige Rekordhalter von 1903, ein AEG-Drehstrom-Triebwagen. Erst 1954 schaffte es die französische SNCF 7121, eine elektrische Lokomotive, diesen Rekord zu überbieten. Der Schienenzeppelin war der Star seiner Zeit und wurde, wo er auch auftauchte, von Jung und Alt bejubelt.

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Neugierig bestaunt: Kruckenbergs Schienenzeppelin auf dem Ausstellungsgelände.

Doch leider waren auch die Nachteile des ungewöhnlichen Antriebskonzepts evident: Wegen des am Heck angebrachten Propellers konnte man keine weiteren Wagen anhängen, und die Gefahr der unverkleideten Rotorblätter für Passanten auf dem Bahnsteig war beträchtlich. Darüber hinaus erzeugten die Rotoren einen derart starken Luftzug, dass auf den Durchfahrtsbahnhöfen alles durcheinandergewirbelt wurde, was nicht niet- und nagelfest war. So nimmt es nicht wunder, dass die Deutsche Reichsbahn bald konventionelleren Systemen den Vorzug gab, die schließlich zum kaum minder legendären Dieselschnelltriebwagen „Fliegender Hamburger“ führten, der zwischen 1933 und 1939 zwischen Berlin und Hamburg verkehrte und für die 286 km nur 138 Minuten benötigte.

schienenzeppelin04.jpgDoch Kruckenberg war keineswegs blind verrannt in seinen aeronautischen Antrieb. Ganz pragmatisch betrachtete er seinen Triebwagen als Versuchsträger, montierte im August 1932 den Propeller ab und flexte den Kopf ab, um eine neue Antriebseinheit zu erproben. Auch wenn das Ergebnis nun ein konventioneller Dieseltriebwagen war, barg dessen Innenleben doch großes kreatives Potenzial: Im neuen zweiachsigen Laufwerk war nämlich ein Föttinger-Flüssigkeitsgetriebe eingebaut, so dass Kruckenberg mit Föttingers Hilfe nunmehr das erste dieselhydraulische Schienenfahrzeug geschaffen hatte. Denn während genügend starke Dieselmotoren schon lange zur Verfügung standen, war bis dahin das Problem ungelöst, das gewaltige Drehmoment in Vortrieb umzuwandeln. Bei weniger kräftigen Motoren konnte man noch mit einem Schaltgetriebe ähnlich wie beim Auto arbeiten, ansonsten kam – wie auch beim „Fliegenden Hamburger“ – ein indirekter dieselelektrischer Antrieb zum Einsatz, bei dem die Räder von einem Elektromotor angetrieben wurden, der durch den Dieselmotor aufgeladen wurde. Der neue Triebwagen formerly known as Schienenzeppelin wurde noch bis ins Jahr 1934 für Versuchsfahrten genutzt, dann verkaufte Kruckenberg ihn an die Deutsche Reichsbahn, die weitere geplante Tests allerdings nie durchführte und den Wagen 1939 demontierte.

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Der Schnelltriebwagen DRG 137 155 war stilprägend für die nächsten Jahrzehnte.

Im Jahre 1938 stellte Kruckenberg einen gänzlich neuen Schnelltriebwagen vor, den DRG 137 155, gebaut bei Westwaggon in Köln-Deutz. Auch hierbei handelte es sich um einen Prototypen und Versuchsträger, der nicht nur im Design erneut wegweisend war, sondern neben dem bereits erprobten hydraulischen Strömungsgetriebe von Hermann Föttinger noch eine ganze Reihe weiterer technischer Finessen bot, etwa Leichtbauweise und Luftfederung. Als Motor kam ein Dieselaggregat von Maybach zum Einsatz, das 600 PS bei 1.400 U/min leistete, als hydraulisches Übertragungsmedium diente Wasser. Ungewöhnlich war auch der Einbauort des Motors, der statt wie sonst auf dem Fahrgestell wie bei einem Auto „unter der Motorhaube“ saß und seine Kraft über eine 3,2 Meter lange Verbindungswelle an die zweite Achse weitergab. Doch die Zeit war mehr als ungünstig für neue Entwicklungen im zivilen Bereich, und der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs bedeutete auch das Aus für den DRG 137 155.

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Der VT 18.16 war ein glanzvolles Aushängeschild der DDR.

Doch das Konzept der Kruckenberg-Triebwagen sollte sich als langlebiger erweisen als die Triebwagen selbst: In den 50er Jahren reüssierten seine Konstruktionen VT 10 501 „Senator“ und VT 10 551 „Komet“, denen allerdings wegen ihrer technischen Anfälligkeit kein großer Erfolg beschieden war. Als sehr viel erfolgreicher sollte sich die Baureihe VT 11.5 erweisen, in ihrer charakteristischen bordeauxroten und cremeweißen Lackierung besser bekannt als Trans-Europ-Express (TEE). Wohl kaum ein Schnellzug verkörperte so sehr alles, was die Faszination der Eisenbahn und des Zugfahrens ausmacht, wie dieser gleichzeitig bullige und elegante Diesel-Triebzug: Kraft und Schnelligkeit, Luxus und Eleganz, kosmopolitische Weltläufigkeit und technische Überlegenheit. Da wollte auch die DDR nicht hintanstehen und produzierte in einem ähnlichen Design (inklusive kultiger „Bullaugen“) den VT 18.16, welcher in den 60er und 70er Jahren als luxuriöser Reisezug „Vindobona“ über Prag nach Wien fuhr.

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Einfach nur Kult: Der VT 11.5 als Trans-Europ-Express.

Im Laufe der 60er Jahre wurden die stromlinienförmigen VT-11.5-Triebköpfe beim TEE durch elektrische Lokomotiven ersetzt; dem TEE selbst setzte die Elektro-Avantgarde-Band Kraftwerk 1977 mit ihrem Album „Trans Europa Express“ ein musikalisches Denkmal. Im Video zum Titelstück wurde dann nochmals eine visuelle Brücke geschlagen zu Kruckenberg, dem Urvater der modernen Schnelltriebwagen, indem historische Filmaufnahmen sowie Aufnahmen eines Modells des Schienenzeppelins verwendet wurden.

Weitere Infos:
SWR-Feature bei YouTube
Wikipedia
Literatur:

Alfred B. Gottwaldt: Der Schienenzeppelin