Das Deutsche Universalwörterbuch aus dem Dudenverlag definiert das „Auto“ als ein durch einen Motor angetriebenes Straßenfahrzeug mit gummibereiften Rädern - und auch, wenn nicht ausdrücklich dort steht, wie viel Räder es sein sollen, hat man sich unter den Automobilkonstrukteuren doch unterdessen auf mindestens 3, in der Regel aber 4 Stück geeinigt.
Damit wollte sich der russische Graf Peter P. Schilovski, Jurist und Mitglied der russischen Königsfamilie, nicht zufrieden geben und machte sich 1912 daran, ein zweirädriges Auto zu konstruieren. Die größte Herausforderung bei einem solchen Auto ist natürlich, es am Umkippen zu hindern; Schilovski brachte dies mit einem so genannten Gyroscope fertig, eine ausgeklügelte mechanische Einrichtung mit Schwungrad und Pendelgewichten, wie sie ähnlich auch in Schiffen verbaut wurde, um diese am Schlingern zu hindern. Drohte das Gefährt auf eine Seite zu kippen, schoben sich die Gewichte auf die andere Seite und stellten so den Ausgleich wieder her - um es einmal ganz vereinfacht zu sagen.
Das Gyrocar auf Testfahrt, Schilovski sitzt neben dem Fahrer.
Mitstreiter für seine Idee fand der Graf bald in Birmingham, wo er A. W. Dring, den Chefingenieur der Entwicklungsabteilung von Wolseley, einer damals großen britischen Automobilfirma, die u.a. auch die legendären Doppeldeckerbusse herstellte, für seine Pläne begeistern konnte. In nur einem Jahr entwickelte und baute man das Gyrocar, welches 1914 in London vor einer interessierten Menschenmenge seine ersten Testrunden drehte - und tatsächlich nicht umkippte. Dring notierte, dass auch im Stand eine Person sich auf die Trittbretter stellen und zusteigen konnte, ohne dass das Auto auch nur bedenklich wankte.
Schilovski, der sich nun „President of the Gyroscopic Society of Petrograd“ nannte, schwebte unter anderem eine militärische Nutzung vor, wogegen allerdings das hohe Gewicht von 2,75 Tonnen und der enorme Wendekreis sprachen (eigentlich konnte es praktisch nur geradeaus fahren).
Front des Gyrocars (Konstruktionszeichnung)
Der Ausbruch des ersten Weltkriegs ließ den Graf dann allerdings nach Russland zurückkehren, und die Engländer begruben sämtliche Pläne. Nein, weil sie einerseits auf Distanz zum Projekt gehen wollten und andererseits aber das schöne Projekt auch nicht zerstören wollten, begruben sie tatsächlich gleich das ganze Auto. Möglicherweise war dies auch ein Zeichen des Respekts gegenüber Schilovski, von dem sie annahmen, dass er entweder Krieg oder Revolution nicht überlebt hatte.
Das Auto wird 1938 wieder ausgegraben.
Erst 1938 wurde das Auto wieder ausgegraben, dass über dem „Grab“ zwischenzeitlich eine Eisenbahnstrecke gebaut worden war, machte die Sache dabei nicht unbedingt einfacher. Das, was von dem Auto dann noch übrig war, steht heute im werkseigenen Museum von Wolseley. Und der Graf? Entgegen allen Annahmen hatte er sehr wohl überlebt, kehrte später wieder nach England zurück, heiratete und lebte mit seiner Frau und seinen drei Töchtern in Dulwich, wo er für die Sperry Gyroscope Company tätig war.
Monorail-Versuchsstrecke bei Petrograd.
Was aber hatte Schilowski zwischenzeitlich in Russland gemacht? Man soll es kaum für möglich halten, aber mit Unterstützung der russischen Regierung hatte er dort 1921 bis 1922 noch an einer einspurigen Eisenbahn gearbeitet, für die immerhin eine 7 Meilen lange Versuchsstrecke gebaut wurde.
Die Brennan-Bahn beim Rangieren.
Er verfolgte damit das Konzept eines anderen Besessenen weiter, Louis Brennan, der eine solche Bahn bereits 1909 erfolgreich bei Gillingham ans Laufen gebracht hatte. Auch Brennan wiederum beließ es nicht bei Eisenbahnen, sondern realisierte im England der 20er Jahre ebenfalls ein Gyrocar, welches er 1929 fertigstellte.
Das Brennan-Car in voller Fahrt (seitliche Stützräder hochgeklappt).
Dieses wies immerhin, um es besser parken zu können, seitliche Stützräder auf, die allerdings während der Fahrt hochgeklappt wurden. Brennan bot sein Konzept Austin, Rover, Morris und anderen englischen Firmen an, aber diese meinten nach kurzer Beratung, dass sie eigentlich ihre vierrädrigen Fahrzeuge ganz gut verkauften - warum mit aufwendiger neuer Technologie ein zweirädriges Auto neu lancieren?
Ford Gyron 1961.
Und vermutlich hat sich auch deshalb das Gyrocar nie durchsetzen können - es sah niemand so richtig den Sinn eines zweirädrigen Autos ein. Immerhin stellte die Ford Motor Company noch 1961 als Showcar den Ford Gyron vor, der futuristisch wie ein UFO auf Rädern wirkte. In Serie ging er allerdings nie …